A 19 - Verkehrsunfall mit Brandfolge

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Tödlicher Unfall auf der BAB 19

Bild 1 - Luftbildaufnahme von der Polizei


Vorbetrachtung

Am 08.04.2011 gegen 12.30 Uhr ereigneten sich in Mecklenburg auf der Bundesautobahn A 19 auf Höhe von Kilometer 100,500 zwei schwere Verkehrsunfälle, bei denen acht Menschen getötet und 77 verletzt wurden. Es sind bei dieser schweren Massenkarambolage 35 Fahrzeuge mehr oder weniger vollständig ausgebrannt. Weitere 48 Fahrzeuge wurden in unterschiedlichem Maße zerstört oder beschädigt. Die vorläufige Gesamtschadenshöhe beläuft sich auf etwa 2,7 Mio Euro.

Die nachfolgende Abhandlung bezieht sich nur auf das Brandgeschehen als Folge des schweren Unfalls, der sich auf der Richtungsfahrbahn Rostock ereignete und dient einzig dem Zweck, objektive Möglichkeiten einer Brandentstehung nach einem Verkehrsunfall und den Brandverlauf darzustellen.
Meine Erkenntnisse und Schlussfolgerungen basieren auf einem stundenlangen, persönlichen kriminaltechnischen Einsatz am Tage des Unfalls, der Inaugenscheinnahme einer Vielzahl von vorliegenden Fotos und Videomaterial sowie Konsultationen mit beteiligten Löschkräften und Ermittlern.

Unfall-Ereignis mit Brandfolge

Bei dem Unfall auf der Bundesautobahn 19, der sich auf der Richtungsfahrbahn Rostock ereignete, gerieten 28 Personenkraftwagen, drei Kleintransporter und vier Lastkraftwagen in Brand.
Trotz sofort eingeleiteter Löschmaßnahmen mittels vieler Feuerlöscher, die durch andere Kraftfahrer (hauptsächlich von der Gegenspur) zur Verfügung gestellt bzw. angewendet wurden, war es nicht zu verhindern, dass die genannten Fahrzeuge vollkommen ausgebrannt sind. Hierbei waren acht Todesopfer zu beklagen. Eingangs ist anzumerken, dass einer der Gründe des Massenunfalls ein starker Westsüdwest bis West-Wind mit der Stärke 6 (in Böen bis Windstärke 8 – entspricht 62-74 km/h) gewesen ist, der die Aufwirbelung großer Mengen trockenen Sandes der benachbarten Ackerflächen hervorrief.


Bild 2 - die Sicht ist teilweise gleich Null
Foto: Polizei

Die Außentemperaturen lagen bei 12 °C, wobei kein Regen zu verzeichnen gewesen ist. Aus diesen klimatischen Bedingungen entwickelte sich ein Sandsturm, der über die Autobahn hinweg fegte, so dass die Sicht der Autofahrer sehr stark eingegrenzt war (zum Teil nur wenige Meter). Hieraus resultierte wiederum, neben weiteren hier nicht zu untersuchenden Faktoren, dass eine Vielzahl von Fahrzeugen ineinander gefahren ist. Hierbei traten unterschiedliche mechanische Kräfte und kinetische Energien auf, so dass die Beschädigung der Fahrzeuge unterschiedlich ausgefallen ist. Einige Fahrzeuge waren aber dermaßen deformiert und ausgebrannt, so dass deren Typ nur unter schwierigsten Anstrengungen zu identifizieren war.


Bild 3 - Aufnahme vom Hubschrauber auf die brennenden Fahrzeuge
Foto: Polizei

Brandentstehung

Auf Grund dieser gewaltigen Kräfte sind die Fahrzeuge in Brand geraten. Ob hierbei zunächst nur ein einzelnes Fahrzeug in Brand geraten und das Feuer auf alle weiteren Fahrzeuge übergegriffen ist, kann an Hand der Spurenlage nicht mehr eingegrenzt werden. Bei vielen Brandfällen lässt sich immer noch ein Brandzentrum oder sogar die Brandausbruchsstelle an Hand bestimmter brandspezifischer Spuren ermitteln. Dies war hier auf Grund der starken Brandintensität und der damit verbundenen Zerstörung kaum noch bzw. nicht mehr möglich. Eine gewisse Konzentration der Zerstörung ist auf Höhe des ersten ausgebrannten Lkw's zu erkennen. Desweiteren korrespondiert diese Feststellung mit der thermischen Belastung der Mittelleitplanken, bei denen die Zinkbeschichtung verbrannt ist. Es ist aber auch durchaus möglich, dass in geringem Zeitabstand mehrere Fahrzeuge unabhängig voneinander in Brand geraten sind. Gesicherte Erkenntnisse darüber sind zum Beispiel nur möglich über die Auswertung von vorhandenen Foto- und/ oder Videoaufnahmen oder zuverlässigen Zeugenaussagen.
Bei der Brandentstehung und der weiteren Ausbreitung des Brandes sind folgende Faktoren mit in die Betrachtung einzubeziehen, da durch diese das gesamte Schadensausmaß erheblich beeinflusst wurde:

– Nach der Entstehung des ersten Fahrzeugbrandes (oder auch zeitgleich mehrere Brandherde) standen mit Feuerlöschern nur kleine Löschmittel zur Verfügung.


– Die Löschmaßnahmen erfolgten durch Laien.
– Die Fahrzeuge waren stark deformiert und ineinander verkeilt, so dass sich die Türen, Klappen sowie Motorhauben schlecht oder gar nicht öffnen ließen. Der unmittelbare Zutritt zum konkreten Brandherd war erheblich erschwert. Somit war ein effektives Löschen mit Handfeuerlöschern nicht möglich.
– Starke Sichtbehinderung durch den Sandsturm, um den oder die Brandherde genau lokalisieren zu können.
– Es bestand die reale Gefahr, dass weitere Fahrzeuge in die Unfallstelle fahren.
– Durch die Deformation der Fahrzeugtüren, war ein Verlassen der Fahrzeuge nur unter erschwerten Bedingungen, in acht Fällen gar nicht mehr möglich. Zusätzlich ist die Verletzung von Personen durch den Unfall zu beachten.
– Fahrzeugbrände lassen sich ab einer bestimmten Brandintensität, die nach wenigen Minuten (5-10 min) erreicht sein kann, nur noch mit ergiebigeren Löschmitteln (große Mengen Wasser oder Wasser mit Löschzusätzen und/ oder Löschschaum) durch die Feuerwehr schnell und effektiv löschen.
– Der starke Wind fachte das oder die Anfangsbrände zusätzlich an und nahm somit entscheidenden Einfluss auf die Brandausbreitung.

Die starke Zufuhr von Sauerstoff (hier Luftsauerstoff) stellt generell immer einen erheblichen Faktor bei der Brandentwicklung dar.
– Es war eine erhebliche Menge an brennbarem Material vorhanden, wie Benzin; Diesel; Motorenöle; Kunststoffe; Polstermaterialien; Reifen, weitere, nicht näher bekannte Reiseutensilien der Insassen; Planenmaterial (Lkw) und Gefahrstoffe u. a.
– Brände größeren Ausmaßes entwickeln zum Teil eine ganz andere Eigendynamik, als Brände einzelner Objekte; hier Pkw's; sicherheitstechnische Kennzahlen erreichen andere Dimensionen.


Bild 4 - Darstellung der unvorstellbaren Zerstörung
Foto: Polizei


Brände entstehen in aller Regel bekanntlich auf Grund von drei Grundvoraussetzungen.

Hierzu gehören erstens ein brennbarer Stoff,
zweitens ein Oxidationsmittel
und drittens eine ausreichend energiereiche Zündquelle.

Da als Oxidationsmittel im Normalfall der Luftsauerstoff ständig vorliegt und fungiert, ist diese Bedingung in den meisten Fällen, so auch hier, erfüllt. Da es sich bei dem Brandraum hier um einen offenen Raum (hier im Freien, Brandentstehung außerhalb der Fahrzeugkabine) handelte, konnte es auch nicht zu einem Verlöschen des Brandes auf Grund Sauerstoffmangels kommen. Brände in geschlossenen, kleinen Räumen können deswegen von selbst verlöschen oder zumindestens in die Phase einer unvollständigen Verbrennung (Schwelbrand) übergehen. In seltenen Einzelfällen kann der Sauerstoff oder ein anderes Oxidationsmittel, chemisch gebunden, in dem brennbaren Stoff selbst vorliegen. An dem Unfallort lagen ausreichende Mengen brennbarer Materialien vor, wobei hier nur einige sicherheitstechnische Kennzahlen beispielhaft aufgezählt werden sollen, die eine ungefähre Orientierung über Zündpotential und Flammencharakteristik geben sollen.



Bild 5 - Einsatzkräfte vor dem Chaos
Foto: Polizei




Es wurde eine Auswahl von brennbaren Stoffen angeführt, die bei der Entstehung des Brandes und/ oder der weiteren Ausbreitung eine wichtige Rolle gespielt haben oder gespielt haben könnten, da beispielsweise die Charakteristik mitgeführter persönlicher Gegenstände nicht ermittelbar ist. Die verwendeten Baustoffe in Kfz. (Kunststoffe, Polsterungen, Dämmungen usw.) weisen eine ungeheure Vielfalt auf. Die Entzündung eines brennbaren Stoffes hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab. Der Verteilungs- und Zerteilungsgrad, der Feuchtigkeitsgehalt, die Luftzufuhr, der Aggregatzustand und das Mengenverhältnis haben erheblichen Einfluss auf die Zündwahrscheinlichkeit. Ein fester Stoff lässt sich besser entzünden, wenn er klein zerteilt vorliegt (z.B. Späne, Staub usw.), also eine große spezifische Oberfläche aufweist, die mit dem Sauerstoff reagieren kann. Hier lagen die vorhandenen festen Stoffe (z.B. Reifen, Polsterungen, Ladung) eher in kompakter Form vor. Polstermaterialien (Bezugsstoffe) sind heutzutage in der Regel schwerentflammbar.


Bild 6 - Aufnahme des Unfalles, hier Fotodokumentation
Foto: Polizei


Flüssige Stoffe (Kraftstoffe) brennen nur, wenn sich über der Flüssigkeitsoberfläche eine Gaswolke innerhalb einer bestimmten Konzentration (untere und obere Explosionsgrenze) gebildet hat. Flüssigkeiten selbst brennen also nicht. Hier spielen wiederum die Ausbreitungsfläche und somit die Flüssigkeitsmenge und die Außentemperaturen bei der Bildung von Gasen und Dämpfen eine Rolle. Bei niedrigen Außentemperaturen gasen die Flüssigkeiten langsamer, wobei weitere Faktoren eine Rolle spielen. Mit etwa 12 °C waren die Außentemperaturen für menschliches Empfinden nicht sehr hoch. Allerdings ist der Einfluss heißer Fahrzeugteile zu beachten, da auftreffende Flüssigkeiten wesentlich schneller verdampfen oder sogar direkt gezündet werden können. Je niedriger der Flammpunkt einer Flüssigkeit ist, desto größer ist die Gefahr der schnellen Zündung. Benzin zählt zum Beispiel zu den leichtentzündlichen Flüssigkeiten. Der Flammpunkt ist die niedrigste Temperatur, bei der sich über einer Flüssigkeit gerade so viele Dämpfe oder Gase bilden, dass sich diese bei Annäherung einer offenen Flamme entzünden.

Zündung

Unter den bei diesem Unfall vorliegenden Bedingungen sind verschiedene Zündquellen objektiv möglich, währenddessen vorsätzlich eingebrachte Zündmittel von vornherein aus der Betrachtung fallen.

1. heiße Oberflächen, wie Teile des Motors, der Auspuffanlage und des Katalysators
2. mechanisch erzeugte Funken (Schlag/ Reibfunken) beim Aufeinanderprallen von Fahrzeugen (Metall auf Metall/ Metall auf Beton usw.)
3. Funken durch Kurzschluss von E-Leitungen, entstanden durch Beschädigung/ Zerreißen von
Kabeln beim Aufeinanderprallen von Fahrzeugen
4. Beschädigung der Fahrzeugbatterie




1 die Temperaturangaben aus der jeweilig verwendeten Literatur bzgl. beider Tabellen können je nach Prüfbedingungen und konkreter Stoffzusammensetzung Abweichungen aufweisen

Bild 7 - eine Vielzahl von Fahrzeugen brannte aus, während es auf der Richtungsfahrbahn Berlin zu keinem Brand kam
Foto: Polizei

Mit Eintritt des Unfalls, bei dem eine Vielzahl von Fahrzeugen ineinander gefahren ist, sind mit hoher Wahrscheinlichkeit Leckagen an Benzinleitungen und/ oder dem Tank eingetreten (Abreißen, Aufreißen o.ä.), so dass Benzin unbekannter Menge ausgetreten ist. Gleiches gilt analog für Diesel oder Öle (Motoröl, Getriebeöl), nur dass diese nicht so leicht entzündlich sind. Diese ausgetretenen Flüssigkeiten bzw. die sich dann gebildeten Gase und Dämpfe entzündeten sich nun an den heißen Teilen des Motors oder der Auspuffanlage. Die für die Zündung der Benzindämpfe notwendige Mindestzündenergie wird hierdurch ohne weiteres aufgebracht, während eine Zündung durch Funken nicht so leicht erfolgt. Die Energie eines Funkens hängt von weiteren Faktoren ab. Ein Funke wird meist auch nur kurzzeitig auftreten, sein Energiegehalt wird relativ schnell abnehmen und oftmals erfolgt eine örtliche Veränderung, während auslaufendes Benzin direkt auf heiße Motorteile gelangt und die Zündbedingungen relativ konstant bleiben. Auch wenn Funken kurzzeitig sehr hohe Temperaturen erlangen können, spielt hier die sehr kurze Zeitdauer ihres Auftretens eine gewichtige Rolle. Ein Funke, der von sich reibenden oder aneinander geschlagenen Materialien (Metallen) herrührt, wird in der Regel auch eine gewisse kinetische Energie aufweisen (Fortbewegung) und kann sich schnell aus dem Wirkungsbereich einer zündwilligen Gaswolke heraus bewegen. Hierdurch kann die Zündwahrscheinlichkeit stark absinken, aber unmöglich ist die Zündung deshalb nicht. Bei Reib/ Schlagfunken können auch glühende Teilchen aus dem Basismaterial gerissen werden. Je nach Teilchengröße und Glühtemperatur ist eine Zündung eher wahrscheinlich. Kurze Abriss- oder Schaltfunken haben meist nicht die nötige Energie. Im Gegensatz dazu sind Lichtbogenfunken stärker, wenn beispielsweise stromführende Kabel mit der Masse (Karosserie) zusammen treffen. Diese sind durchaus in der Lage Kabelisolierungen o.ä. Stoffe oder zündwillige Gase und Dämpfe in Brand zu setzen.



Bild 8 - der Unfall forderte den Einsatzkräften alles ab - Foto: Polizei
Bild 9 - hoher Personen- und Sachschaden auf der linken Fahrbahn
Foto: Polizei

Brandausbreitung


Nach der Zündung der brennbaren Materialien, wobei hier davon ausgegangen wird, dass am wahrscheinlichsten eine Entzündung von Kraftstoff an heißen Motorteilen eingetreten ist, erfolgte eine relativ schnelle Brandausbreitung, was durch Zeugen auch bestätigt und Fotoaufnahmen belegt wird. Selbst frühzeitige Löschversuche konnten das Ausbrennen von 35 Fahrzeugen nicht verhindern. Die Geschwindigkeit der Brandausbreitung wurde im Wesentlichen durch den starken und böigen Wind vergrößert. Da die Fahrzeuge ineinander gefahren sind, war es in vielen Fällen auch nicht mehr möglich, das Fahrzeug aus dem Brandbereich zu fahren. Eigenschutz bzw. Personenrettung stand hier sicherlich an vorderster Stelle. Bei der starken Brandhitze, bei der der Fahrbahnbeton zerstört wurde (ca. 1500 – 1600 °C), erfolgte die Wärmeübertragung nicht nur direkt auf benachbarte Fahrzeuge, sondern auch durch Wärmestrahlung, zum Teil auch über Wärmeleitung. Durch Wärmestrahlung können entfernte brennbare Stoffe thermisch aufbereitet werden und nach einer gewissen Einwirkungszeit ohne direkten Flammenkontakt zünden.


Schlußbetrachtung

Durch den Unfall sind acht Menschenleben zu beklagen und der Sachschaden geht in die Millionen. Den Einsatzkräften von der Feuerwehr, Technisches Hilfswerk, medizinisches Rettungspersonal, DEKRA, Rechtsmedizin, Abschleppfirmen, Bestatter und Polizei (hoffentlich wurde hier keiner vergessen) wurde alles abverlangt, denn keiner hätte sich bei der Alarmierung so ein Schreckensbild vorstellen können. Die anschließende Aufarbeitung des Unfalles durch die Polizei hat unendlich viele Stunden akribischer Arbeit erfordert. Vor der Justiz ist dieses traurige Ereignis im Juli 2014 zu einem Abschluss gebracht worden. Die Menschen, die hier ums Leben kamen, reißen überall große Lücken und hinterlassen eine riesige Trauer, die wohl noch Jahre anhalten wird.


Es wird immer eine Frage im Raum bleiben, die hier auch unbeantwortet bleibt:

Hätte man den Unfall durch bestimmte Vorsorgemaßnahmen verhindern oder die eingetretenen Folgen minimieren können?





Autor:

Ing. Jörg Cicha (2022 in Rente)
Kriminalpolizei Güstrow






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