Die Tatortuntersuchung

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Die Tatortuntersuchung

Von Prof. Dr. Holger Roll, Güstrow1


Die Tatortuntersuchung wird häufig als Kernstück der Tatortarbeit eingeschätzt. Sie umfasst die Aufnahme des objektiven Tatortbefundes und wird in verschiedene Phasen unterteilt:

Suche nach Spuren und materiellen Beweismitteln,
Sicherung von Spuren (mittels technischer Verfahren und der Sicherstellung von materiellen Beweismitteln),
Operative Spurenauswertung.

Neben der Feststellung von Spuren und materiellen Beweisen ist die Beschreibung der am Tatort vorgefundenen Situation wesentlicher Bestandteil der Tatortuntersuchung.


1 Die Beschreibung der Tatortsituation


Die Beschreibung der Situation am Tatort ist immer im Zusammenhang mit der Tatortuntersuchung vorzunehmen. Es soll damit ein objektives, vollständiges und fehlerfreies Bild über die am Ereignisort vorgefundene Situation geschaffen werden. Die angefertigte Dokumentation kann Grundlage für die Beweisführung im Strafverfahren, u.U. auch selbst ein Beweismittel (Augenscheinsbeweis) sein. Das Ergebnis der Beschreibung wird Bestandteil der anzufertigen Dokumentation der Tatortarbeit.
Die Beschreibung kann mündlich (z.B. mittels Diktiergerät), schriftlich, per Videoaufzeichnung oder/und Fotografien sowie durch Skizzen und Zeichnungen vorgenommen werden. Ergänzt wird sie ggf. durch Unterlagen über den Tatort (z.B. Baupläne, Grundrisszeichnungen). Dies erhöht die Anschaulichkeit der Dokumentation und erleichtert auch die Beschreibung, da z.B. Maße direkt übernommen werden können. Es ist zu prüfen, dass die in Zeichnungen angegebenen Maße mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimmen, um z.B. nachträgliche Veränderungen feststellen zu können (z.B. Anlegen von Verstecken). Die Beschreibung ist systematisch durchzuführen und sollte parallel zur Spurensuche und -sicherung realisiert werden. Erfolgt sie in Bewegung ist zu beachten, dass die zu betretenden Bereiche vorher nach Spuren und Beweisgegenständen abgesucht und zumindest markiert wurden, wenn sie nicht schon kriminaltechnisch gesichert wurden.
Inhaltlich sind folgende Schwerpunkte zu berücksichtigen:

der Tatort im weiteren Sinn (einschließlich möglicher Zu- und Abgangswege),
der Tatort im engeren Sinn (eigentlicher Handlungsort),
die räumliche Situation am Tatort,
die vorgefundene Situation bei Eintreffen der Kräfte des Auswertungsauswertungsangriffs,
die materielle Spurenlage,
weitere Orte, an denen materielle Beweismittel aufgefunden wurden (z.B. am Fluchtweg),
die Art und Weise der Vorgehensweise bei der Spurensuche und -sicherung.


Als Grundsätze der methodischen Vorgehensweise der Beschreibung des Tatortes gelten2:

Planmäßige und systematische Beschreibung: Die Systematik hat sich an der Spezifik der vorgefundenen Situation zu orientieren. Eine einmal gewählte Systematik ist beizubehalten. Die Beschreibung hat in der räumlichen Abfolge im Uhrzeigersinn zu erfolgen.

  • Festlegung eines Fixpunktes: Von diesem ist die Beschreibung vorzunehmen.
  • Beschreibung von außen nach innen: Der Tatort im engeren Sinn ist genau zu lokalisieren und zu benennen. Die Beschreibung hat sehr detailliert unter Nutzung von Geländekarten, Grundrisszeichnungen, Bauplänen zu erfolgen.
  • Sektorale Aufteilung bei räumlich sehr großen Tatorten: Die Beschreibung erfolgt nach der gewählten Systematik in den entsprechenden Sektoren.
  • Exakte Beschreibung vorhandener Gegenstände: Neben der Beschreibung der Gegenstände ist ihre Lage zueinander festzuhalten. Konkrete Abmessungen sind festzustellen und zu dokumentieren.


Vor dem eigentlichen Betreten von Räumen sind/ist:

die Stellung und der Zustand von Türen und Türschlössern (keine Schließversuche) zu dokumentieren,
die Temperatur festzustellen (Problem: Öffnen der Fenster bei unangenehmen Gerüchen, dies kann z.B. für die Feststellung der Todeszeit erhebliche Fehler begünstigen),
Gerüche zu beschreiben,
die situativen Verhältnisse am Tatort (z.B. durchwühltes Mobiliar) festzuhalten,
fotografische Überblicksaufnahmen des gesamten Raumes zu fertigen.


Nach dem Betreten von Räumen3 ist

der Zustand und die Stellung der Fenster festzuhalten,
die Stellung Lichtschalter zu beschreiben,
der Zustand elektrischer Beleuchtung und Beleuchtungskörper zu dokumentieren (z.B. lassen sich daraus Versionen zur Tatzeit ableiten),
die Stellung von Gashähnen und der Heizungsregler (Thermostate) zu dokumentieren.


Die Beschreibung des Tatortes kann durch Skizzen, Zeichnungen, Fotografien und Videoaufzeichnungen ergänzt werden.


2 Spurensuche

Die Spurensuche dient der Feststellung von materiellen Beweismitteln (Aufzeichnungen, Gegenstände, Spuren). Die Suche ist kein mechanisches Absuchen des Tatortes, sondern hat nach bewusst gewählten methodischen Prinzipien zu erfolgen und muss die Spezifika des Tatortes berücksichtigen. Grundlage sind die bisher über den Tatort und den Sachverhalt vorliegenden Informationen. Damit wird deutlich, dass bei der Spurensuche ein enges Wechselverhältnis zwischen gedanklicher und praktischer Tätigkeit des Ermittlungsbeamten besteht. Vor der Spurensuche sind die spurentragenden Bereiche, die für das jeweilige Delikt in Frage kommen können, festzulegen. Generell sind spurenrelevant der Ereignisort (Fundort, Tatort, Verbringungsort), die Zu- und Abgangswege, das Tatopfer (z.B. bei Sexualdelikten), der Verdächtige (z.B. Verletzungen durch Gegenwehr des Opfers) und Gegenstände (z.B. Tatwerkzeuge, Tatmittel, Beute). Die methodische Vorgehensweise der Vorgehensweise ist abhängig von

der Art und Schwere des Delikts,
der aktuellen polizeilichen Lage,
der Jahres- und Tageszeit,
der Witterungsverhältnisse,
der Struktur des Ereignisortes, den örtlichen Gegebenheiten,
dem Zeitraum zwischen Feststellung der Tat und Untersuchung dieser,
den Entstehungsmöglichkeiten der Spuren,
der Art der Spur,
der möglichen Zuordnung4 der Spur (z.B. Täterspur, Tatspur, Opferspur, Spuren von Tatwerkzeugen oder Tatmitteln),
von Versionen über den Tatablauf.

Der letztgenannte Faktor hat besondere Bedeutung für die Festlegung der methodischen Vorgehensweise. Ist es möglich, konkrete Fakten zum Vorgehen des Täters (z.B. auf Grund der Analyse der vorgefundenen Situation oder der Auswertung von Zeugenaussagen) zu gewinnen, wird danach die methodische Vorgehensweise der Spurensuche festgelegt. Grundsätzlich unterscheidet man:

die subjektive (heuristische) Vorgehensweise,
die objektive (systematische) Vorgehensweise,
eine Kombination beider Vorgehensweisen.

2.1 Subjektive Methode


Subjektiv geht man vor, wenn im Ergebnis der Tatortbesichtigung Versionen/Hypothesen zum Tatgeschehen vorhanden sind. Das Ergebnis der gedanklichen Rekonstruktion der Begehungsweise und des Ereignisses muss eine hohe Wahrscheinlichkeit aufweisen, dass sich das Ereignis auch tatsächlich, so wie angenommen, vollzogen hat. Anhand der Version zum Modus operandi wird die Spurensuche auf mutmaßliche spurentragende Bereiche konzentriert.

Unabdingbare Voraussetzungen für die Anwendung dieser Methode sind, dass Kenntnisse vorliegen über:

   die Anzahl der Täter, die am Tatort gehandelt haben,
   die psychischen Voraussetzungen des Täters,
   die Ausführung der Tat,
   mögliche Zu- und Abgangswege,
   vorgenommene Veränderungen,
   spurentragende Bereiche,
   mögliche latente Spuren und an welchen Orten sie auftreten könnten.

Diese Methode weist Vorteile auf, wie z.B. ihre Effektivität, der geringe Kräfte- und Zeitaufwand, die ganzheitliche Beurteilung der Spurenlage, die Konzentration auf Tat- und Täterspuren, die Möglichkeit, dass Mikrospuren und latente Spuren festgestellt werden können. Nachteile dieser Methode bestehen darin, dass bei Zugrundelegung einer fehlerhaften Version die Gefahr besteht, dass Spuren in falschen Bereichen gesucht und vorhandene Spuren vernichtet werden können. Nicht geeignet ist die Methode, wenn in einem räumlich sehr eng begrenzten Bereich nach Spuren gesucht werden soll. Als Gefahr ist einzuschätzen, dass der Ermittlungsbeamte seine Erfahrungen, sein Wissen zugrunde legt und die Vorstellung eine Rolle spielt, wie er selbst in dieser spezifischen Tatortsituation gehandelt hätte. Diese eigenen Vorstellungen können jedoch völlig verschieden von der tatsächlichen Vorgehensweise des Täters sein, da diese sehr individuell und perönlichkeitsspezifisch sind. „Es genügt also landläufig nicht, sich als Ermittler einfach in die Situation des Täters hineinzudenken, sondern man muss dies tun unter Berücksichtigung der eigenen Psyche und Intelligenz, der eigenen moralischen Intentionen und einer andersartig strukturierten Persönlichkeit. Das setzt voraus, dass der Ermittlungsbeamte Angaben über diese Persönlichkeit im Sinne relativ stabiler Merkmale auch tatsächlich besitzt oder vermutet sowie die situativen psychischen Bedingungen und Abläufe kennt. Dann ist es ihm möglich, die Handlungsziele und -motive des Täters zu erkennen, die sich ihm bietenden Handlungsmöglichkeiten und -alternativen zu analysieren, um daraus Erkenntnisse über das tatsächliche Handeln zu erlangen.“5

Für das Vorgehen nach der subjektiven Methode ist zu beachten:

   Der Beginn der Spurensuche sollte, an dem Ort erfolgen, den der Täter als erstes betreten hat (Zugangsweg). Als Orientierung für die weitere Suche von Spuren gilt das gedankliche Nachvollziehen der Handlungsweise des Täters. Sollte das nicht möglich sein, empfiehlt es sich den Beginn der Spurensuche zum Abgangsweg zu verlegen und dann rückvollziehend die Spurensuche vorzunehmen.
   Die Spurensuche erfolgt dort, wo der Täter sicher oder mit hoher Wahrscheinlichkeit gehandelt hat.
   Durch die gedankliche Rekonstruktion bestehen Kenntnisse zum möglichen Ablauf der Spurenentstehung. Aus diesem Grund sollte auch nach latenten Spuren und Mikrospuren gesucht werden.
   In den Suchbereich angrenzenden Gebieten dürfen keine Veränderungen vorgenommen werden, damit sie notfalls (falls im Rahmen der Spurensuche sich die zugrunde gelegte Version als falsch erweist) in die Spurensuche mit einbezogen werden können.
   Abschließend sollten auch andere Bereiche des Tatortes auf weitere Spuren abgesucht werden.


2.2 Objektive Methode


Die Spurensuche erfolgt schematisch nach einem jeweils vorgegebenen Prinzip. Diese Vorgehensweise findet ihre Anwendung dann, wenn verschiedene Faktoren in Kombination oder einzeln gegeben sind. Dazu gehören:

   sehr wenige Erkenntnisse zum Tatablauf,
   keine Version zur Vorgehensweise des Täters,
   relativ große Ausdehnung des Tatortes,
   konkrete Bewegungskomponenten des Täters sind am Ort nicht nachvollziehbar,
   Suche ist ausgerichtet ist auf das Auffinden von Gegenständen (z.B. Tatwerkzeuge, Tatmittel, Tatbeute).

Man unterscheidet verschiedene Formen6 der objektiven Vorgehensweise:

   Spiralförmiges zentripetales Vorgehen: Es erfolgt eine spiralförmige Absuche von der Peripherie zum Zentrum des Tatortes.
   Spiralförmiges zentrifugales Vorgehen: Die Vorgehensweise beginnt im Zentrum und endet an der Peripherie des Tatortes.
   Linienförmiges Vorgehen: Das Vorgehen beinhaltet ein sukzessives bzw. paralleles Absuchen in festgelegten Bahnen.
   Diagonales Vorgehen: Es ist eine Absuche in festgelegten Bahnen von verschiedenen Seiten mit Überkreuzung.
   Sektorales Vorgehen: Es wird eine Unterteilung des Tatortes in mehrere Abschnitte vorgenommen, in denen nach Spuren gesucht wird. Die Vorgehensweise folgt meist der natürlichen Struktur des Ortes, wobei innerhalb der Abschnitte wieder zentripetal, zentrifugal, linienförmig oder diagonal gesucht werden kann.

Vorteilhaft bei den objektiven Methoden der Spurensuche ist, dass der Tatort sehr gründlich nach Spuren abgesucht wird und somit auch sehr viele Spuren gefunden werden. Das kann sich aber auch nachteilig auswirken, denn es werden durch diese Methode auch Trugspuren erfasst. Hinzu kommt, dass die Spurensuche mit einem relativ hohen Zeit- und Kräfteaufwand verbunden ist. Die Gefahr der Vernichtung von Mikrospuren besteht, da keine Kenntnisse zum Modus operandi vorhanden sind. Methodisch lassen sich für die objektive Suchmethode folgende Hinweise ableiten:

   zuerst Zuweisung der einzelnen Suchbereiche an die eingesetzten Kräfte,
   die Suchbereiche sind überlappend festzulegen, um Spurenverluste zu vermeiden,
   die abgesuchten Bereiche sind eindeutig zu kennzeichnen, um später bei der Dokumentation die nötige Exaktheit zu gewährleisten.

Beide Suchmethodiken werden häufig miteinander kombiniert, um eine optimale Spurensuche zu gewährleisten. Die Methoden sind der jeweiligen Tatortsituation anzupassen.


3 Die Spurensicherung


Die Spurensicherung umfasst einen Prozess vom Erkennen bis zur operativen Nutzung bzw. der Auswertung der Spur. Ziel der Spurensicherung ist es, Sachbeweise so zu sichern, dass sie für das Verfahren nutzbar gemacht werden können und ihr Beweiswert in das Verfahren eingebracht werden kann.